Dieses Visual, das K.’s Traum-Yacht zeigt, wurde nachträglich als kulturelle Umrahmung eingefügt und hat, nun schon zur Tradition geworden, nur bedingt mit dem Text zu tun. (Quelle)
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Es ist fünf vor fünf, eine halbwegs angemessene, wenn vielleicht auch nicht angenehme Zeit, um in die Tasten einer virtuellen Tastatur zu tasten, jedenfalls im Vergleich zu den im mehrfachen Sinne gruseligen Zeiten, zu denen K. in den letzten Tagen von der Weltgeistin geweckt wurde und daraufhin seiner zu Recht unübersehbaren Nichtleserschaft hoffentlich nicht ganz ohne eine gewisse Eleganz zum Teil schier mäandernd girlandierende Wortketten kredenzt hat.
Es ist immer alles da, immer noch und immer wieder, was K. immer wieder erstaunt und allerdings auch mit dem erfreulichen Empfinden erfüllt, noch nicht völlig abgestorben zu sein. Eben hat er etwa nach Abschlagen seines Nachtwassers das Kippfenster des für derartige angenehme Abläufe gedachten gekachelten Raumes bis zu einem etwa drei Handflächen großen Spalt geöffnet und seine Nase in diese unsere dynamische Postmoderne gehalten, und es war alles wie damals, als er körperlich pubertiert hat und bei derartigem nächtlichen Auslugen dieselbe unbestimmte, aber angenehme Sehnsucht verspürt.
Allerdings wieder und immer noch nicht hat K. dem Antrieb nachgegeben, seinen zu erschlaffen beginnenden, aber immer noch, nämlich im Verhältnis zur äußeren Erscheinung vieler Altersgenossen, recht elastischen Körper angemessen zu bekleiden und in der nächtlich dunklen Stadt, aktuell M, Hauptversammlungsplatz der Bajuwaren, spazieren zu gehen.
Er unterlässt diese für seine Verhältnisse verwegene Unternehmung zugegebenermaßen auch aus Faulheit, aber das ist es nicht allein, und er unterlässt sie auch nicht vornehmlich deshalb, weil er noch viel Zeit für derartige Spezial-Sperenzchen hat, weil sein Körper erst 61 Jahre alt ist.
Ein viel wichtigerer Grund ist seine Sicherheit, dass er wieder von kleidsam gewandeten, frei nach Franz Fühmann, Kameraden Volksschützern angehalten werden würde, weil er ein neurotisches Gesetz gebrochen hätte mit diesem nächtlichen Flanieren als wie ein Feuilletonist und daher erhebliche Schuldgefühle ausstrahlen würde. Damit aber wäre das hin, was mit „Stimmung“ nur sehr ungenau bezeichnet ist, jedoch unerlässlich zu sein scheint für das geistige Gleichgewicht eines sich körperlich auslebenden Privatpublizisten der Spezialisierungsrichtung Allesgeheimphilosoph.
Oder so ähnlich; voll schwul, Digga, kriegst ’ne Rastung.
Man kann nicht abstreiten, dass diese durchaus bewussten Stilbrüche wie der eben praktizierte etwas Literarisches haben, und K. muss zugeben, dass er sich jetzt nicht ungern selbst besteigen könnte und das nur deshalb nicht tut, weil er die berechtigte Angst immerhin spürt, nicht mehr runter zu kommen.
Ja, auch der Humor kommt nicht zu kurz; vortrefflich, Herr Gevatter, ganz vortrefflich!
(… ganz sauber ist der Typ echt nicht, oder… immerhin scheint der K. realisiert zu haben, dass Queneau, der Sprachzauberer, dergleichen weit besser konnte… der hat manchmal auf 20 Seiten derart die Diktion gewechselt, dass man meinte, es mit mehreren Autoren zu tun zu haben… alles hat seine zwei Schattenseiten, oder so ähnlich, und auch eine Persönlichkeitsspaltung muss nicht immer etwas Destruktives sein… *hüstel*…)
Wenn aber K. mit 14 seine Nase in die damals realsozialistische nächtliche Welt gehalten hat, wusste er nicht, dass die Romantik einer Landschaft nach Goethe von der Einsamkeit des Betrachters herrühren dürfte, und ihm war vor allem nicht klar, dass er sogenannte unbestimmte Gefühle empfunden hat insofern, als er nicht wusste, an wen sich diese Gefühle richteten oder von wem sie ausgelöst wurden.
Im Wohnblock gegenüber wohnte diese ehemalige Mitschülerin, zu der K. völlig den Kontakt verloren hatte, obwohl sie buchstäblich einen Steinwurf entfernt lebte, was ihm bezeichnenderweise überhaupt nicht als mindestens merkwürdig aufgefallen war. Dieses „aus den Augen, aus dem Sinn“ hat K. damals zu leben begonnen; unbewusst und damit umso wirksamer.
Das Mädchen von gegenüber aber hat für etwas gestanden, was K. gleichfalls nicht bewusst war und vielleicht nicht bewusst sein konnte. Sie war die Protagonistin der Hoch-Zeit seines Lebens, dem dritten Schuljahr, in dem der, O-Ton vox populi, „bindungslose Psychopath“ wenn nicht im Hier und Jetzt angekommen war, so sich doch diesem Ankommen angenähert hatte wie nie vorher oder nachher.
K.’s gesamte dritte Klasse musste an eine andere Schule wechseln, weil die Schule, an der K. lernte, völlig überfüllt war. K.’s unmittelbar vorgesetzter Vorfahre hat daraufhin veranlasst, dass K. zum vierten Mal in vier Jahren in ein neues Klassenkollektiv gekommen ist und zum dritten Mal in eine neue Schule.
Das dürfte, und dieses Löffelchen Zynis-Mus muss jetzt sein, ungemein zur Ausbildung von Bindungsfähigkeit beigetragen haben, zumal zu dieser Zeit auch K.’s Mutter verschwunden ist, worauf K. wie folgt reagiert hat: gar nicht.
Niemandem scheint aufgefallen zu sein, wie seltsam es war, dass ein Neunjähriger auf das Verschwinden seiner Mutter überhaupt nicht reagiert hat. Allerdings war dergleichen nicht typisch für unsere Menschen, vielmehr handelte es sich um Überbleibsel der alten Gesellschaft, die man im Zuge der gesetzmäßigen Entwicklung Schritt für Schritt überwinden würde, und wenn wir nicht gestorben sind, überwinden wir immer noch.
(… siehta sich wieda als Retta der Gesellschaft, höhöhöhö… unser Hilfstherapeut, hihihihi…)
Vorgeblich hat der Vater das getan zur sicheren Verkürzung von K.’s Schulweg, in Wahrheit aber, im Unbewussten, um zu vermeiden, dass K. erleben durfte, was seinem Vater durch Krieg, Vertreibung und Flucht verwehrt worden war, eben dieses Ankommen im Hier und Jetzt und in der Peergroup, für das dieses Mädchen im Block gegenüber gestanden hat.
„Der Junge ist doch ein kluges Köpfchen!“, würde Tante Paula sagen, wenn es sie geben würde, und vor allem haben so viele Leute etwas davon, vor allem er selbst; müder Witz, komm raus, Du bist umzingelt.
Nun aber ist es zehn vor halb sieben und der Penner macht, was Penner machen, er pennt noch ein bisschen.
Unrockbar, das grauhaarige Kind mit Brille; ab ins Heim, echt…
PS 08.30 Uhr: So was sind wahrscheinlich Morgenseiten, aber is‘ doch schnurz und schnuppe. – Sie nannten ihn „Cameronald“, yeah! – „Schwestaaa!“ – Der Klient scheint ein wenig unruhig…
Die Traumyacht hat den Vorteil, dass man sie verheizen kann, sollte es einmal an Holz mangeln…
Ja.
(Aus unserer in weiten Kreisen völlig zu Recht völlig unbeliebten Serie „Es übt, sich kurz zu fassen“)