Einige Kinder kamen schon am Sonntagabend, nicht erst Montag nach der Schule, ins Schülerwochenheim, und ein Junge war dabei, der ihn derart erschüttert hat, dass K. seine Wahrnehmung damals schon, mit 12 oder 13, verdrängt hat, obwohl er das Wort natürlich noch gar nicht kannte.
Der Junge kam oft mit roten Striemen oder gar einem blauen Auge ins Heim, aber als der prügelnde Vater gestorben ist, hat der Junge geheult wie ein Schlosshund und wurde, wenn K. sich recht entsinnt, schulunfähig krank geschrieben.
Das hat K. dann erst recht verdrängt, weil er zumindest ahnungsweise gespürt hat, dass was mit seiner Familie und mit ihm nicht stimmen könnte. Nee nee, nur mit ihm; er ist schuld! Fester, fester, aaaaah! Äh – sorry! – Ja, Nossinnunnossn, da hättet Ihr anfangen müssen mit „Befreiung von Unterdrückung“, da habt Ihr aufgehört. – Höhöhö, spielta wieda Lenin, höhöhö…
Dergleichen „Ahnungen“ hatte K. auch, und er hat sie übrigens ausgesprochen, obwohl bei ihm alles geheim ist, als er zum letzten Mal bei Anna Lyse in der Gruppe gesessen hat, wobei das mit dem „Hinten drauf, hinten drauf!“ von Meister Loriot eventuell nicht ganz das Wesen der Gruppentherapie trifft; aber so sind sie, die Künstler, was K. aus seinem Abstand des durchgeknallten Spießers besonders gut einschätzen kann.
Klienten erzählten da von ihren heillosen Verstrickungen in das Netz der neurotischen Arrangements in ihren Familien, und K. hat gedacht, dass er hier zum Glück nicht mitreden könne…
Na ja – aber gar nichts an Bindungen… Na ja – „bindungsloser Psychopath“, O-Ton vox populi…
Schon bei der Lektüre von „Das Unglück anderer Leute“ von Dr. Pollatschek hat es K. zwar geschüttelt vor Lachen, „Im Osten gab es keine Psyche“ usw., aber schon hier hat er sich gefragt, ob nicht was fehlt.
(… K. würde ja sooo gern promovieren, im Unbewussten, aber er hat wieder gar keinen Zugang zu diesem… furchtbar…)
Ähnlich war das dann bei der Lektüre von „Ab jetzt ist Ruhe. Roman meiner fabelhaften Familie.“ von Marion Brasch.
Nun hat K. gestern „Otto“ von Dana von Suffrin zu lesen begonnen und er musste mehrfach derart lachen, dass ihm ein Wässerchen aus den Augen gesprungen ist, oder so ähnlich, was sollen denn bloß die Leute denken. „Wenn ich in ein Flugzeug stieg, schaltete mein Vater viertelstündlich zum Videotext, um zu überprüfen, ob ich schon abgestürzt war“.*
Ja, die Autorinnen sind alle, hoffentlich ist das jetzt politisch korrekt, Frauen mit jüdischem Hintergrund, was K. zunächst gar nicht bewusst geworden ist, weswegen sich hier natürlich im Unbewussten sein latenter Antisemitismus zeigt, im Auge behalten, aber damit wird auch klar, dass die sich hier „komisch“ zeigende Verlustangst eigentlich überhaupt nicht komisch ist…
Für K. sind diese Bücher wie Entdeckungsreisen in das fremde Land „richtigen“ Familienlebens, von dem er bei der Lektüre ahnen kann, wie es sich anfühlen mag, in einem solchen Land zu leben, um in dem etwas schiefen Bild zu bleiben, aber es bleibt zudem die Frage, ob nun zu viel oder zu wenig „schlimmer“ wäre… Bla.
(… das war das Wort zum Sonntag aus der Unterschicht…)
* Dana von Suffrin, „Otto“, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021, Seite 42.
Ich habe immer noch nicht raus gefunden, wer die beiden Typen sind, männlich-herb, harzig-holzig. - Hast Du da den, *hüstel*,…