Fast 20 Jahre lang hat K. bei seinem City-Hopping und Flat-Jumping Isaac Singers „Der Kabbalist vom East Broadway“ mitgeschleppt. Das könnte bereits bezeichnend sein, denn bei seinen als Umzüge getarnten Fluchten ist Etliches verloren gegangen an materiellen und immateriellen Werten. Dann erst hat K. das Büchlein gelesen. Er musste zugeben, und hat zugegeben, wofür er insgeheim gelobt werden möchte, dass sein Unbewusstes ihm wieder einmal einen Streich gespielt hatte.
Erstens zeigte sich neuerlich, dass auch oder gerade diese sozusagen Leseblockierung darauf zurückzuführen gewesen sein dürfte, dass in dem Buch Einiges für ihn dabei ist. Dergleichen ist K. mit Büchern schon mehrfach passiert und er hat sie dann „vergessen“. Zweitens schließlich musste K. feststellen, wieder einige Jahre später, dass Singer sich intensiv mit Mystik beschäftigt hat und bereits vor Jahrzehnten strikte vegetarische Ernährung zu praktizieren begonnen, als das, aua, durchgekaute Klischee von „Körnerfressern“ noch dieses je nach Standpunkt des Betrachters berühmte oder berüchtigte Fünkchen Wahrheit enthalten hat.
K. hat das Thema, um das es ihm hier geht, schon mehrfach zumindest angedeutet. Da war dieses YouTube-Video mit einem alten Paar, das im Gebiet des ehemaligen Ostpreußen unter dürftigsten Verhältnissen lebte, jedoch im Großen und Ganzen zufrieden schien.
Das Phänomen scheint demnach nicht begrenzt zu sein auf die von Singer geschilderte Lebenswelt. – Worum geht es?
Eine Kurzgeschichte in dem Erzählungsband von Singer heißt „Der Sohn aus Amerika“. Sie ist knapp 8 ½ Seiten lang und sie hat es in sich dergestalt, dass K. in seinem Hang zu Größenideen sie als jedermann verständliche Darstellung eines der Grundprobleme des XX. Jahrhunderts zu bezeichnen sehr geneigt ist.
Der, kein Klischeealarm, in Amerika reich gewordene Sohn eines in einem kleinen Dorf in Polen lebenden Paares möchte seine Eltern, deren Dorf und dessen jüdische Gemeinde beschenken und ist in diesem ehrlichen Bemühen nach kurzer Zeit völlig ratlos. Zwei Betten, zwei Regale sowie ein Ofen aus Lehm und ein Tisch bilden das Inventar der Hütte ohne elektrisches Licht und fließendes Wasser, in dem die Alten ihr Leben verbracht haben. Bei Kälte werden auch die Ziege und die Hühner darin beherbergt.
Der reiche Sohn beißt nicht einmal auf Granit, vielmehr seine Bemühungen widerstandslos ins Leere gehen. Zwar haben seine Eltern die von ihm regelmäßig geschickten Goldstücke angenommen, sie jedoch in einen unter einem Bett gelagertem alten Stiefel gestopft. Vor Dieben bräuchte man keine Angst haben, denn es gäbe hier keine Diebe. Die Alten haben das Geld nicht ausgegeben, weil sie sicher sind, dass sie alles haben, was sie brauchen. Verreisen wollten sie auch nicht, weil diese Hütte halt ihr Heim wäre. Die jüdische Gemeinde will das Geld des Sohnes nicht, weil die Synagoge groß genug für alle wäre. Schließlich ein Heim für alte Leute bräuchte das Dorf nicht, denn niemand müsse auf der Straße schlafen. Usw.
Es geht K. nicht nur um den von Singer grandios beschriebenen jüdischen Kulturraum, siehe das Video über das ostpreußische Ehepaar; zumal K. ja laut vox populi ein „Nazi-Schwein“ ist. Vielmehr geht in K. die Frage um, ob es wirklich nur Nostalgie, Sentimentalität usw. wäre, sich nach einer solchen alten Zeit zu sehnen, in der die Welt noch in Ordnung war. Das fast völlige Fehlen von Kriminalität in derartigen entlegenen Dörfchen etwa ist nachweislich keine Fiktion, als Beispiel.
Könnte es zudem oder vor allem sein, dass weitere Verbreitung in Variationen der sich in diesen Lebensläufen zeigenden Haltung zur Welt und den eigenen Bedürfnissen darin nicht zu dem alarmierenden Zustand geführt hätte, in dem sich der dritte Planet des Systems eben befindet? Das wird man ja wohl noch sagen dürfen. Wird zudem nicht etwas fehlen, wenn solche Leute ganz ausgestorben sind? – Fragen eines missvergnügten Arbeitslosen, nicht wirklich nach Brecht.
(… höhöhö, willa wieder die Welt retten, höhö… war nich‘ beidastasi, war mal Küchenarbeiter, höhöhö…)
Herr K. muss neuerlich an den indianischen Gegenwartsautoren denken, der sich immer wieder fragte, warum sich Europäer leidenschaftlich mit indianischer Kultur beschäftigen würden und die sozusagen Indianer vor der Haustür wie die gewaltsam christianisierten Slawen und Balten übergehen. Etwas, was für Fortschritt gehalten, wurde zwangsverabfolgt, und wehe, es hatte wer keinen guten Appetit dabei.
K. hat sich des Weiteren schon mehrfach gefragt, ob seine nach Auffassung etlicher Außenstehender, milde formuliert, eingeschränkte Wahrnehmung der sogenannten Realität wirklich nur störungsspezifisch ist und nicht zumindest auch Ausdruck der eben oben angedeuteten Sehnsucht nach einer Welt vor den großen Rissen und Brüchen des XX. Jahrhunderts, vor dem Fallen des Vorhangs nach Thomas Mann.
Wie kommt K. gerade jetzt neuerlich zu diesem Theoretisieren? – Nun, sein Nachbar ist ganz praktisch Verkäufer in einem Metzgerladen, macht sonst weiter fast nichts und ist damit erklärtermaßen glücklich. K. musste zu seiner Verblüffung feststellen, dass er nun in einer Phase seines heillosen Lebensslalomlaufes ist, in der er ein bisschen neidisch auf diesen Nachbarn ist. Der sagt das nicht nur, dass er mit seinem Sein und Dasein recht zufrieden wäre, er strahlt das auch aus. – Um auch das gleich klarzustellen, ist dieser Nachbar der beste, den der Wohnungsirre K. bisher hatte, und das ist alles nicht hinter dem Rücken geredet, sondern im Kontakt ausgesprochen. Man glaubt es kaum – auch das hat K. zuweilen drauf, chch.
Dabei schreibt der Nachbar hin und wieder Fantasy- und SF-Geschichten. Bei der Lektüre einer dieser Geschichten fand K. bestätigt, was er vermutet hatte, dass der Mann vielleicht nicht die sprachliche Gewandtheit oder was auch immer des Herrn K. hat, die ohnehin Ergebnis langer Übungen ist, jedoch über die Phantasie verfügt, deren Fehlen K. bei sich immer wieder zu beklagen anhebt. Der Nachbar stellt lebendige Bilder vor das geistige Auge des Lesers, was Jack London fast wörtlich von einem sich an ihn gewandt habenden jungem Autoren gefordert hat.
Natürlich fühlte sich K. bemüßigt, dem Nachbarn die in Printform vorliegenden Lehrhefte seines Fernkurses „Kreatives Schreiben“ in die Hände zu drücken, zumal K. alle Hefte auch noch online bzw. digitalisiert besitzt. K. war dabei wieder ein bisschen glücklich, weil er endlich wieder einmal angeben konnte, warum er Schuldgefühle hatte; weil er befürchtete, man könne ihm immer einmal wieder unterstellen, dass er als Hilfstherapeut wild herum manipulieren würde. – Endlich kam jetzt: ‚Kuckuck!‘; K. hat die ganze Zeit drauf gewartet. Brauchst gar nicht anfangen mit richtig Schreiben, wir haben Dich an der Leine usw.
Tja, was tun, um Dr. Uljanow zu zitieren, der sich auf Tschernyschewski bezogen hat? – K. hat nun seit 1980 in 29 Jobs hospitiert; er „verzählt“ sich dauernd und „vergisst“ immer einmal wieder eine Tagedieb-und-Tagelöhner-Werktätigkeit. Nun aber ist K. 60, besser gesagt, sein Körper, und – nichts geht mehr. Ab ins Tierheim, Sektion prähistorische Schachtelhalme, Abteilung dinosäuerlicher Gnadenhof!
Immer aber hat K. diese zerrende Sehnsucht nach einer, freundlich-vorsichtig ausgedrückt, geistigen Ebene gespürt; immer war das alles provisorisch, vorübergehend und überhaupt nur Probe, Test und Vorspiel. Der Liedermacher Gerhard Schöne hat das auf eine Art formuliert, die für jedermann verständlich ist; in einem Song sagt er fast wörtlich, man hätte nun eine Lehrstelle, ein Moped und eine Freundin, aber war da noch was?
Bla. – Ja, klar, K. will wieder hinschmeißen; unrockbar, der Typ. Nachdem er nun bereits über 500 (Norm-)Seiten geschrieben hat und, har har, nur noch abschließende und abrundende Tätigkeit nötig wäre, findet er das alles Quatsch, den keine Sau braucht usw. K. muss hier an eine ehemalige Mitbewohnerin einer WG denken, die sich am Vorabend des Beginns einer lange ersehnten Ausbildung, um die sie gekämpft hatte, in die Geschlossene einweisen ließ. Sie hat die „drohende“ Erfüllung einer tiefen Sehnsucht nicht ertragen und am Rad gedreht und das versteht Ottilie Normalverbraucherin natürlich nicht.
Die ständige Flucht vom Schreibtisch in Hilfsarbeiterjobs funzt aber auch nicht mehr; mit dem Versuch als Buchhandelsgehilfe vor etlichen Monden hat sich Herr K. die Kante gegeben. Zudem oder vor allem muss K. eine Traumprüfung bestehen, in der es um eine Bindung an eine Tätigkeit geht, und dann die entsprechende Situation in der Wirklichkeit finden. Er besteht diese Prüfungen aber seit Jahrzehnten nicht. Ja ja, der is‘ irre, der Typ, bzw. spielt den Simulanten.
Jammer, jammer. Bla bla.
Übrigens hat Isaac Bashevis Singer auch Folgendes gesagt, dass K. sich mindestens hinter die Ohren schreiben sollen müsste…
Will K. denn wirklich Schriftsteller sein? – Nein, er möchte als der goldlockige Jüngling, der er ist, ganz tief drin einen anständigen Handwerksberuf erlernen, z. B. Quantenmechaniker.
(… har… har… har…)
PS: Es gibt Entwicklungsmöglichkeiten im Alter! K. hat festgestellt, dass man diese lästig aus den Nasenlöchern heraus wachsenden Haare nicht abschneiden muss, sondern auszupfen kann… äh… – *hüstel*…
Ist das Alzheimer? - Das mit den 8 Euro tut ja schon im Text oben stehen nähmlich, wo K. gepostet…