Ich erwäge nun, mich beim Rasieren zu siezen, muss das aber erst mit meiner inneren Gruppe durcharbeiten.
Jaha, ich bin weit gekommen! – Wer war der Typ, an dem ich vor einigen Monaten auf Höhe des Bayrischen Rundfunks vorbei gelaufen bin und der da intonierte: „Hast es ja weit gebracht!“ Ich kannte den nicht, aber der mich offensichtlich.
Manchmal möchte ich etwas schreien, wie heute zum Beispiel an der Supermarkt-Kasse. Da ich mir bereits das Abi unter anderem mit Kurvendiskussionen versaut habe, unterlasse ich reaktionär-anachronistisch-machistische Anmerkungen über das Erscheinungsbild der Verkaufsassistentin durchaus.
„Sie irren sich, ich bin jemand Anderes!!! Meine Ausstrahlung ist irreführend! Ich hätte die Bedeutung, die manche in mich hinein zu deuten scheinen, nicht einmal erreichen können, wenn ich einen geraden Lebenslauf gehabt hätte, was immer das sein mag! Mein Charakterkopf geht mir auf die Nüsse! ‚Sieht aus wie ’n Direktor, bloß druff hatta nüscht!‘, O-Ton vox populi bereits 1981. Sie werden mit Sicherheit enttäuscht sein, wenn Sie mich erst einmal ein bisschen kennen lernen. Ich wäre gern ein kleiner, unscheinbarer Mann, den man nach fünf Minuten wieder vergessen hat! Ich bin zudem depressiv – wenn Sie mich bitte im Interesse der öffentlichen Sicherheit einfach übersehen könnten?! Danke! Bussi!!!“
Ja. – Na ja…
Ich meine, die haben ja Recht, die Nossinnunnossn! Ich habe es vor der Wende zu nichts gebracht und ich habe es nach der Wende zu nichts gebracht und muss in die Schachtelhalmabteilung des Tierheims. Dort kann man mich dann für ein geringes Entgelt beobachten, wie ich altersbedingt unkoordiniert Fruchtschalen durch den Käfig ballere und verdrossen am Präputium zupfe usw. Auch hier weiß ich wieder nicht recht, was „usw.“ heißen soll und auch hier wieder kommt es mir voll literarisch vor, Alter!
Wie gesagt – der Begriff „Wendehals“ ist mindestens unzutreffend. Man hat geprüft, was man tun muss, um in zu sein, drin, dazugehörig usw., und hat es getan. V. d. W. ist man in die Partei eingetreten und hat unterschrieben, wenn die kamen usw. N. d. W. sollte man ein Finanzdienstleistungs- und Immobilienunternehmen betreiben müssen usf. Ist legitim! Mir fällt schon wieder eine der grandiosen Geschichten von Helga Königsdorf ein. In der schreibt sie gleich am Anfang sinngemäß, manchmal würde man Leuten alle Möglichkeiten einräumen und sich dann ärgern, wenn diese Leute alle Möglichkeiten nutzen würden. Korrekt, Mann!
(… bin ich wieder froh, kein Leut zu sein… ha…)
Solche Überlegungen erscheinen hier zumindest nicht ganz unangebracht, denn heute ist der 59. Jahrestag des Mauerbaus. Ich werde ganz demnächst gleichfalls 59 oder jedenfalls mein Körper…
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Das Problem beim Kontakte finden ist, dass ich dort wieder ansetzen müsste, wo ich mich mit 12 oder 13 aus der sogenannten Realität ausgeklinkt habe oder raus gefallen bin oder eher beides. In Kontakt kommen schaffe ich durchaus, wenn ich einigermaßen gut drauf bin, was immerhin hin und wieder geschieht, aber das ist es eben nicht allein, hoppsassa und trallala. – Nein, ich bin nicht pädo! Thx! Es ist wieder etwas Atmosphärisches, das sich schwer in Worte fassen lässt, bla.
So.
Das Präputium musste ich googeln, die Ösis nennen es naturgemäß anders, obwohl ich gefühlsmäßig gleich richtig gelegen äh bin…
Nicht, dass du denkst ich wäre respektlos, aber ich musste beim Lesen mehrmals laut lachen.
Helga Königsdorf, ha! Sie hat irgendwo geschrieben, sinngemäß, dass sie lange gebraucht hätte, um zu realisieren, dass es eine große Kunst sein könnte, Leute zum Lachen zu bringen; und das war ’ne gestandene Frau, nicht ein Luftmensch wie ich…
(… ich bewirke doch ein bisschen was, hoho…)
(Geht ab. Wischt Knutschflecken vom Spiegel.
Abhang.Vorhang.)